Zum Verhaeltnis von Sicherheitspolitik und Militaerpolitik

Der Begriff der Sicherheitspolitik der Slowakei im Vergleich mit westlichen Allianzen

von

Ezeh Chinonso Kennedy

B.Sc., M.Sc., Ph.D.

 

Sicherheits- und Militaerpolitik stehen nach Dettke in einem wechselseitigen Verhaeltnis zueinander; (Vgl. Dettke, S. 294- 296). In der Sicherheitspolitik geht es vor allem darum, wie von aussen kommenden Gefahren, Existenzgefaehrdungen oder Beherrschungsversuchen begegnet werden kann. In der Militaerpolitik geht es dagegen hauptsaechlich um die verteidigungspolitischen Mittel, Aufwendungen und Aktivitaeten, die eine Gesellschaft zur Gewaehrleistung ihrer Sicherheit bereitstellen kann.

Viele Autoren verschiedener Herkunft betrachten Militaerpolitik als synonym mit Verteidigungspolitik. Verteidigungspolitik wird dann angesehen als Vorbereitung einer Gesellschaft auf jegliche Gefaehrdung von aussen. Somit ist Verteidigungspolitik identisch mit Militaerpolitik. Beide umfassen alle Massnahmen und Aktivitaeten im Zusammenhang mit den Streitkraeften eines Staates.

Dazu gehoeren auch die Ruestungspolitik und der Export von Ruestungsguetern und Waffen. Sicherheitspolitik umfasst alle

 

diese Bereiche, geht aber noch viel weiter: sie beruehrt fast alle Bereiche eines Staates und seiner Buerger.

 

 

Da die Slowakei seit ihrer Staatsgrundung 1993 bei der Konzipierung einer unabhaengigen Sicherheitspolitik das Ziel der Integration in westliche Buendnisse, zum Beispiel NATO, EU, WEU, verfolgt, muss die Slowakei als ehemaliger kommunistischer Staat ihre Sicherheitspolitischen Begriffe neu definieren, so dass diese im Einklang mit der Termilogie der NATO sind. Die slowakischen Sicherheitsexperten sind bei der Ausarbeitung einer Sicherheitskonzeption immer wieder mit Begriffen konfontiert, die nicht eindeutig definiert sind, weil sie in den wichtigsten westlichen Laender verschieden interpretiert und verstanden werden:

In den westeuropaeischen Laendern und den USA werden Lebensinteressen und strategische Interessen nicht als identisch angesehen. In der Slowakei dagegen werden staatliche und nationale Interessen als voellig identisch angesehen und mit den strategischen Interessen gleichgesetzt, die ihrerseits den Lebensinteressen entsprechen. Damit entspricht die Sicherheitsauffassung der Slowakei der der Sowjetunion bzw. Russlands.

Bei allen Staaten scheint das Lebensinteresse gleich zu sein; das bedeutet, dass das Ueberleben der Nation gesichert werden muss und dass man im Falle einer Aggression ueber verlaessliche Instrumente zur Verteidigung verfuegt.

Das strategische Interesse haengt von Groesse, Stellung, Aufgabe und Ambitionen des Staates in der Welt ab.

Die Grenze zwishen Lebensinteresse und strategischen Interessen ist relativ fliessend und abhaengig von der Entwicklung der konkreten Situation. Beide Interessen sollten gleichermassen intensiv verteidigt werden. Politiker und Staatsmaenner haben die Aufgabe, die Lebensinteressen und die

 

strategischen Interessen richtig einzuschaetzen und zu interpretieren, so dass fuer das betreffende Land keine Gefaehr entsteht.

In Grossbritannien und besonders in den USA versteht man unter Sicherheit die Verteidigung von langfristig gepflegten Werten. Sicherheit wird dort ausserdem als ein Mittel zum Erreichen nationaler Ziele im Verhaeltnis zu anderen Staaten und internationalen Organisationen gesehen. Sicherheit ist demnach erreicht, wenn das Ueberleben des Staates, seine Unabhaengigkeit, das Leben seiner Buerger sowie eiene dauerhafte Entwicklung gewaehrleistet sind. All das beinhaltet, dass die Lebensinteressen der Buerger und des Staates akttiv gegen auessere und innere Bedrohung verteidigt werden. Dabei kommt es nicht so sehr darauf an, ob diese Bedrohung real, potentiell oder nur vorausgesetzt ist; (National Security Strategy of USA, Wasington 1993, S. 13).

In Deutschland betont man bei der Auffassung von Sicherheit vor allem die Sicherung der Werte gegen innere und aeussere Feinde. Dabei wird der Sicherung und der Art der Befriedigung von Werten in Rahmen des sozialen Systems besondere Bedeutung beigemessen. Die aeussere und innere Sicherheit wird in die politishe, oekonomische und militaerische Sphaere unterteilt. Sicherheit wird als ein Zustand angesehen, der die Integritaet und Unverletzlichkeit des Staates gewaehrleistet. Das is eine grundlegende Voraussetzung fuer die Lebensfaehigkeit des Staates; (Klaus Kinkel, Prag 1994, S. 7).

In Frankreich versteht man unter Sicherheit einen “Zustand der Ruhe, wenn keine Gefahr droht“; (Le livre blanc sur la Defence de la France, Paris 1994, S. 165). Sicherheit gilt allgemein als ein sehr wandelbarer Zustand, der hauptsaechlich von aeusseren Einfluessen, aber auch von der Gestaltung der Innenpolitik abhaengt. Im Verhaeltnis zur konkreten Situation und zu militaerischen oder nichtmilitaerischen Drohungen ist die Sicherheit des Staates immer relativ. Die objektive Seite ergibt sich daraus, wie diese von einem konkreten Staat empfunden

 

werden, welche Bedeutung ihnen zugemessen wird und wie darauf reagiert wird.

In der Slowakei gib es keine Regel, durch die die normativen Schranken des Terminus “Sicherheitspolitik“ festgelegt werden. Der an sich schon sehr umfassende Begriff Sicherheitspolitik wird in der Slowakei breitesten Sinne verwendet; (Die Armee der Slowakischen Republik, Bratislava 1996, Teil 1). Sicherheitspolitik, wie sie derzeit in der Slowakei verstanden wird, ist nicht nur eine Konzeption fuer Kriegszeiten, sondern ein natuerliches Element der neuen Staatlichkeit.

Diese Sicherheitspolitik umfasst nur eine Strategie zur Gewaehrleistung militaerischer Sicherheit, sondern sie stellt den hoechsten Typus einer Strategie dar,   die sowohl Aussen- als auch Innenpolitik integriert. Dadurch soll die Verteidigung des Staates erreicht werden. Was die Rolle der Streitkraefte betrifft, so wird die slowakische Sicherheitspolitik als die Ausnutzung der potentiellen Kraft fuer die Abwendung von Aggression, Bedrohung oder Krieg gesehen. Die Nutzung der militaerischen Kraft wird dann zum Gegenstand der Militaerpolitik oder Militaerstrategie.

Die Grundlage der amerikanischen Konzeption der Sicherheitspolitik ist die Groesse, Staerke und Verteidigungsfaehigkeit der Vereinigten Staaten und ihre Verantwortung fuer die internationale Sicherheit. Deshalb ist diese Konzeption fuer die slowakischen Bedingungen zu global und damit nicht geeignet.

Die deutsche Affassung von Sicherheitspolitik ist ebenfalls kaum fuer die Slowakei anwendbar, weil diese Aufassung auf Veraenderungen der internationalen Situation als Subjekt reagiert, waehrend die Slowakei sich in dieser Hinsicht eher als Objekt sieht; (Weissbuch zur Sicherheit der BRD uns zur Lage und Zukunft der Bundeswehr, Bonn 1994, Kapitel 2-4). Die aeusseren Sicherheitsaspekte in der deutschen Sicherheitspolitik sind fuer die Slowakei kaum interessant. Einige Zuege der

 

deutschen Aussenpolitik koennten fuer die Slowakei attraktiv werden. Im Unterschied zur Vergangenheit naemlich, als die deutschen Sicherheitspolitik grossen Wert auf Abshreckung legte, erfolgt heute mehr eine Orientierung an “Sicherheitspartnerschaft“, “kollektiver Sicherheit“ und an der Bildung des Potentials der “kollektiven Reaktion“ im Rahmen des gemeinsamen Systems der internationalen Sicherheit.

Unter den westlichen Auffassung von Sicherheit steht der slowakishen Sicherheitspolitik vielleicht die franzoesische Auffassung am naechsten. Danach is Sicherheitspolitik “die Faehigkeit der Regierung, alle moeglichen Quellen des Landes fuer die moeglichst effektivste Eliminierung von Drohungen und Risiken auszunutzen und die Faehigkeit einer Praevention gegen solche Gefahren“; (Le livre blanc sur la Defence de la France, Paris 1994, S. 55).

Diese Auffassung steht der slowakischen Konzeption von Sicherheitspolitik auch deshalb nahe, weil sie eher nach innen und auf die Souveraenitaet eigenen Landes gerichtet ist. Allerdings is die Naehe zwischen franzoesischer und slowakischer Auffassung von Sicherheitspolitik nur relativ, da Frankreich im Vergleich mit den anderen westlichen Laendern im Sicherheitspolitischen Kalkuel der Slowakei keine bedeutende Rolle spielt.

Die Slowakische Konzeption der Sicherheitspolitik steht im Einklang mit der russischen Konzeption, soweit es um die nationalen Interessen geht, denen die Sicherheitspolitik untergeordnet wird.

Fuer alle NATO-Mitgliedstaaten spielt bei der Definition von politischen Begriffen jener Terminus die groesste Rolle, der sich auf die Lebensinteressen und strategischen Interessen des jeweiligen Staates bezieht. In der amerikanischen Terminologie lautet der Begriff grand strategy oder national security strategy, in der franzoesischen ist es politique securite und in der deutschen Terminologie ist es Sicheheitspolitik. Im

 

slowakischen   wurde    fuer    Sicherheitspolitik    der    Begriff

bezpecnostna politika gepraegt.

Die Sicherheitspolitik stellt ein System von grundsaetzlichen Staatsinteressen und Zielen, sowie von Intrumenten zu deren Realisierung dar. Und Sicherheitspolitik umfasst ein breites Spektrum von verfolgten Teilinteressen. Dazu gehoeren die Unantastbarkeit des Staatsterritoriums und der Integritaet des Staates, die Verfassungsmaessigkeit und die Taetigkeit von demokratischen Institutionen, die oekonomische und soziale Entwicklung des Staates, der Schutz von Buergern und deren Interessen, sowie die Einhaltung von internationalen Sicherheitsverpflichtungen.

Da sich die Slowakei an der Grenze zu Osteuropa befindet, kann die Sicherheit dieses Staates nicht als absolut, sondern nur als relativ angesehen werden.

Auch die Slowakei unterscheidet bei ihrer Sicherheitsauffassung eine objektive und eine subjektive Seite. Die objektive Seite besteht aus den fuer die Slowakische Republik real existierenden Bedrohungen; die subjektive seite ergibt sich daraus, wie die Bedrohungen von der Slowakei bzw. ihrer politischen Repraesentation empfunden werden und wie man auf diese Bedrohungen reagiert und versucht, sie zu eliminieren.

Aehnlich wie die tschechische Sicherheitspolitik bildet auch die slowakische eine Einheit, die sich aus verschiedenen aussen-, innen- und militaerpolitischen sowie internen sicherheitspolitischen Aspekten, Komponenten und Methoden zusammensetzt. Die Sicherheitspolitik umfasst alle Aktivitaeten des Staates. Da die Bedeutung des Staates Mitte der 90er Jahre in der Slowakei zunahm, ist der sicherheitspolitische Umfang dort breiter als in klassischen demokratischen Laendern. Auch in der Slowakei orientiert sich die Innere Sicherheit in zunehmendem Masse an der internationalen Situation. Damit sind die Komponenten von Innere- und Aussenpolitik kompatibel. Die innere Sicherheit hat eine gewichtige

 

internationale Dimension. Auf diesen oft unberechenbaren Aspekt muss die aeussere Sicherheit Ruecksicht nehemen. Es handelt sich dabei vor allem um die Frage der nationalen Souveraenitaet, die in der Slowakei noch lange emotional empfunden werden wird.

Zusammenfassend laesst sich feststellen, dass Sicherheit oder Sicherheitspolitik traditionell immer unter dem Aspekt der militaerischen Bedrohung von Staaten definiert worden ist. In der letzten Zeit – insbesondere seit dem Ende des Kalten Krieges – ist der Auffassung von Sicherheit erweitert worden. Sicherheit umfasst nunmehr auch oekonomische, politische, soziale und oekologische Herausforderungen – Herausforderungen nicht nur fuer Staaten, sondern, was noch wichtiger ist, fuer Gessellschaften und Individuen.

Sicherheit wird also in immer staerkerem Masse als ein multidimensionales und vielschichtiges Konzept verstanden. Diese Erweiterung der Auffassung von Sicherheit reflektiert sehr deutlich die Wandlung der Sicherheitsprogrammatik in der mordernen Welt.

Bei der Konzipierung und Verfolgung ihrer Sicherheitspolitik ist die Slowakei als ein neuer Staat Ostmitteleuropas in besonderem Masse mit den Schwierigkeiten jener Auffassungserweiterung von Sicherheit und darueber hinaus mit der eindeutigen Definition und Interpretation von sicherheitspolitischen Termini im Einklang mit den NATO-Mitgliedstaaten konfrontiert. Dies gilt insbesondere, da die Slowakei mit ihrer kommunistischen Vergangenheit die Integration in die NATO und in andere westliche Allianzen anstrebt.

Related posts

Die Slowakei und ihre Beziehungen zur Russischen Foederation besonders die wirtschaftliche und sicherheitspolitische Dimension dieser Beziehungen von der Staatsgrundung

Die bilateralen Beziehungen der Slowakei und die Probleme der Slowakischen Republik zu ihren Nachbarstaaten seit ihrer Staatsgrundung

Die Ost oder West geopolitische Lage der Slowakei