Home Wissen & ForschungTechnologie & Wissenschaft Logopaedin hält “The King’s Speech” für einen wichtigen Film

Logopaedin hält “The King’s Speech” für einen wichtigen Film

by Chris Ezeh

[vc_row][vc_column][vc_column_text]Von Janina Darm – Harburg. Er ringt nach Worten. Und das so gut und überzeugend, dass er dafür sogar einen Oscar als bester Hauptdarsteller bekommen hat. Der britische Schauspieler Colin Firth verkörpert in dem vierfach prämierten Werk “The King’s Speech” den stotternden König George VI., der seine Sprachstörung erst mit Hilfe eines engagierten Therapeuten in den Griff bekommt.

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Aber so, wie der 50 Jahre alte Firth den Adeligen darstellt, kann man bei dessen Filmfigur allenfalls von einem mittelschweren Fall eines Stotterers sprechen. Das zumindest sagt Bettina Dölle. Und sie muss es wissen, schließlich behandelt die zertifizierte Stottertherapeutin in ihrer Praxisgemeinschaft in Harburg seit rund drei Jahren intensiv Kinder, Jugendliche und Erwachsene, die unter einer mehr oder weniger stark ausgeprägten Störung des Redeflusses leiden.

“Ich werde mir noch einmal die englische Originalversion des Films ansehen, aber es gibt sehr viel schwerere Stottersymptome als jene, die im Kinostreifen mit Colin Firth zu sehen sind”, sagt Dölle und kramt nach ein paar Videos von Patienten, die ihr erlaubt haben, an ihrem Beispiel zu zeigen, wie ausgeprägt das Stottern tatsächlich sein kann.

Die Logopädin hat schon viele Klienten behandelt. Gemeinsam mit ihren Kollegen Marko Röhrs und Ruth Ezeh bietet sie in Harburg Gruppen-, Einzel-, und Wochenendtherapien an, in denen Betroffenen geholfen wird, den Sprachfluss mit Hilfe verschiedener Techniken zu stabilisieren. “Eine Heilung”, sagt Bettina Dölle, “gibt es nicht, aber man kann durch intensives Training zumindest die Symptome lindern und Rückfälle vermeiden.”

Aber was genau verbirgt sich eigentlich hinter dem Stottern? Sind ein paar “Ähms” bereits ein Indiz für eine Sprechstörung? “Nein, nein”, erklärt Dölle, “im Kern ist das Stottern eine Störung der automatisierten Sprechbewegung.” Die anerkannte Behinderung, von der etwa ein Prozent der Deutschen betroffen sind und die erstmalig häufig im Alter zwischen zwei und fünf Jahren auftritt, wird auf ein neurologisches Defizit im Gehirn zurückgeführt und kann vererbt werden.

“Für d-d-d-die Betroffenen, kann d-d-d-das gravierende psychologische Folgen haben”, sagt Dölle und simuliert das “Frosch-Symptom”, bei dem Wortteile sozusagen hüpfend wiederholt werden. Im Rahmen der Therapie versucht die Logopädin durch das Mitstottern vor allem bei Kindern ein Bewusstsein für die gestörte Sprechbewegung zu schaffen und ihnen eine Anleitung zur Überwindung der Blockade zu geben.

Dölle weiß, wie sehr die kleinen und großen Patienten unter ihren Sprachstörungen leiden und wie wenig sensibel teilweise das Umfeld auf ihr Stottern reagiert. Im Fall eines kleinen Jungen aus Ghana legte man das Sprachdefizit sogar derart falsch aus, dass er bei normaler Intelligenz auf eine Schule für geistig Behinderte geschickt wurde.

Erst Jahre später erkannten die Lehrer des Jungen, dass er durchaus begabt war und sich nur aufgrund der fehlerhaften Stigmatisierung völlig zurückzog. “In diesem Fall hat das Schulsystem eindeutig versagt”, bemerkt Dölle noch immer fassungslos. Entsprechend wichtig ist es ihr angesichts dieses Schicksals auch, dass sich die gesellschaftliche Wahrnehmung des Stotterns weiter verbessert und man den Betroffenen mehr Zeit und Gehör schenkt.

Ein Kinostreifen wie “The King’s Speech” könne in dieser Richtung viel bewegen, sagt die Logopädin und fügt hinzu: “Das Stottern wird nun endlich aus der Tabu-Ecke geholt.” Wenngleich die im Film dargestellten Therapiemaßnahmen keinem umfassenden Konzept folgen und auch die Suggestion, das Stottern werde durch ein Trauma ausgelöst, nicht immer zutreffend sei, so hält Dölle den Kinostreifen dennoch für eine echte Bereicherung.

“Am Ende zählt nur, dass man den Menschen, die stottern, mit einem wirklichen Interesse begegnet.” Und das, da ist sich die 50-Jährige sicher, hat “The King’s Speech” geschafft.
Quelle: Hamburger Abendblatt 09.03.2011
http://www.abendblatt.de/region/harburg/article1807710/Hollywood-holt-Stotterer-aus-der-Tabu-Ecke.html[/vc_column_text][/vc_column][/vc_row]

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