Beitrag von Chris Ezeh & Jennsen Kaden
Es war eine riesige Menschenmenge …einige schliefen in geparkten Autos, für die sie auch noch eine Menge Geld zahlen mussten. Die Autos schienen Nacht für Nacht an diesem Ort zu ruhen und gehörten mit Sicherheit wohlhabenden Bürgern mit „connections“.
Auf den Gesichtern der Wartenden stand eine Mischung aus Müdigkeit, Frust, Armut und Traurigkeit geschrieben. Ab und zu kam bellend ein Beamter vorbei und kommandierte die Leute herum. Die Schlange wurde zusätzlich in Unruhe versetzt: Einige Reiche kamen im Auto-Konvoi und „zack- zack“, ohne Rücksicht auf die Wartenden wurden sie mit dem üblichen „Good morning, Sir“ und einem entsprechenden Handzeichen durch die Menschenmenge in die Botschaft begleitet. Die übrigen Leute ohne „Vitamin B“ hingegen mussten schon um 3 Uhr morgens vor Ort sein, da jeden Tag nur 20-30 Visa- Anträge dieser Kategorie „Ohne Namen“ bearbeitet werden konnten.
Sie waren von allen Ecken des Landes eingereist und standen in ewigen chaotischen Schlangen, alle möglichen Dokumente so fest unter ihre Achseln geklemmt, als wären diese Gold und Diamanten! Dies geschah im Jahr 2001 vor einer der vielen westlichen Botschaften im diplomatischen Viertel in einem Land in Afrika. Es war für unseren Beobachter, der gerade für einen Monat in sein Heimatland gereist war, ein schlimmes Erlebnis, dieses traurige Theater zu beobachten.
Er dachte:….. noch vor 10 Jahren, als er das Land verlassen musste, hat man hier noch nach anderer Musik getanzt. Versunken in seinen Monolog dachte er weiter: Wie kann die Welt sich so schnell ändern? Warum diese ganze Affentheater? … Ozean, Wind und Wolken kennen keine Grenzen und dürfen sich überall ohne Einschränkung bewegen. Der feine Sand der Sahara darf sich eine Atlantiküberquerung leisten und uns in der Karibik schöne Sandstrände zaubern. Ohne das Gleichgewicht der Natur zu kippen, dürfen Vögel von Europa über Mallorca nach Afrika hin- und zurückfliegen ohne Visum und endlose Protokolle. Nur der Mensch, der sich Homo- Sapiens- Sapiens genannt hat, bekommt das nicht in den Griff. Warum können wir nicht von der Natur lernen?
Seine Erfahrung zu Hause musste unser Beobachter neulich in Deutschland wieder erleben. In einem Café nebenan war eine heiße Diskussion entfacht. Einer schimpfte: „Ich verstehe die Welt nicht mehr! Warum fliegt man Tausende von Kilometern, um in Deutschland etwas zu suchen, das bereits in einem Umkreis von ein paar Kilometern zu Hause zu haben ist? Ein paar Ruderschläge über den Golf von Aden und schon ist man in Arabien! Im heiligen Land, wo Mekka und Medina sind und alles wunderschön ist!
Es gibt Arbeit, es ist warm und fundamentalistisch genug, aber dennoch steigen diese Menschen ins Flugzeug, nehmen alle Beschimpfungen, die Kälte und Diskriminierungen im Kauf, und landen in einem Land, wo sie nicht einmal einen Stuhl zum Sitzen bekommen, ganz zu schweigen von einem Dach über dem Kopf. Stört sie all dies wirklich so wenig?“ “Wieso?“, fragte der andere Kollege sehr irritiert, „das ist nicht schwer zu verstehen, die haben über Kurzwelle, Fernsehen oder was weiß ich vom Sozialhilfe-Schlaraffenland Deutschland/Österreich gehört und schon trachten sie mit allen Mitteln danach.
Der andere schimpfte weiter: „Wie kamen die Leute darauf zu glauben, dass man hier schon beim Laufen auf der Strasse die Euros an die Fußsohlen geklebt bekommt und dass das Sozialamt hier Geld für jeden frei zur Verfügung stellt? Dass man hier den Islam verbreiten und Terrorzellen gründen darf und Europa hilflos zu schaut? Saudi Arabien ist eines der wohlhabendsten Länder der Welt, aber alle Afghanen, Araber und sonstiges islamisches Gesindel flüchtet nach Europa und tobt sich hier aus.
Also warum so kompliziert nach Europa flüchten, wenn das Gute nur ein paar Steinwürfe entfernt liegt! Das Gleiche gilt auch für Nigeria, Tschad und Sudan! Warum flüchten Kambodschaner und Vietnamesen nicht nach Japan? Nein, um die halbe Welt nach Europa!“
So schwer ist es nicht zu verstehen, warum diese ignoranten Kollegen ihrer Meinung so freien Lauf ließen. Um das Bild deutlicher zu malen, sollte die These so lauten: Wenn ein Europäer oder Leute aus den Industrieländern auswandern, ist das in Ordnung, aber umgekehrt darf es auf keinen Fall sein und sollte mit allen Mitteln bekämpft werden! Wer über Ausländer und Einwanderung schimpft, sollte dies nicht mit Terrorismus und religiösem Fanatismus gleich stellen. Nicht alle Araber, Afghanen, Iraker oder andere Ausländer, die in Europa leben, sind automatisch Terroristen und Sozialhilfeempfänger!
Wer über Einwanderung schimpft, sollte sich zuerst einmal mit der Geschichte Europas beschäftigen.
Was war denn mit den Europäern, die sich Mitte des 17. und 18. Jahrhunderts sogar ohne Verpflichtungserklärung, Einladung, Visum oder Aufenthaltserlaubnis in alle Himmelsrichtungen diese Erde verstreut haben? Wer hat die Engländer im Jahre 1861 nach Lagos, Nigeria eingeladen? Welches Recht hatten sie, die Stadt durch Bombardement zu zerstören und sie danach zu annektieren?
Wie kamen die Engländer am 13. Mai 1787 dazu, einen Teil des Landes der Aborigenes einzunehmen und Sydney umzubenennen (nach ihrem damaligen Hauptinnensekretär Lord Sydney), und später das ganze Land, nur weil England das Problem überfüllter Gefängnisse hatte? Wie kamen die Deutschen nach Namibia, Tansania, Kamerun und 1894 durch Reichskommissar Gustav Nachtigal nach Togo? Und wie kamen die Franzosen nach Tschad, Algerien, Benin usw.? Wie erklärt man die Mission des belgischen Kaisers Leopold des II. im Jahre 1885 im Kongo? Was hatten die Holländer zwischen 1880-1902 in den goldreichen Regionen von Transvaal und Oranien in Südafrika zu suchen?
Wer sich heute über Ausländer und Bürgerkriegsflüchtlinge aus Afrika aufregt, die nach Europa kommen, sollte vielleicht zuerst über Otto von Bismarck schimpfen, der während seiner Internationalen Afrikakonferenz von 1884-1885 in Berlin die afrikanischen Urgrenzen zersprengt und durch die heutigen künstlichen Grenzen ersetzt hatte, wodurch zum einen der Kultur der Völker Afrikas Achtung und Respekt genommen und zum anderen der Grundstein der Grenzkonflikte im afrikanischen Kontinent gelegt wurde.
Wer über die Einwanderer schimpft, sollte sich vielleicht zuerst genug Zeit für einen Besuch in einem europaweiten Völkerkundemuseum nehmen. Dann wird demjenigen schnell klar werden, wer wem was und wie viel schuldet! In vielen Museen Europas liegen unzählige verstreute geplünderte Kunstobjekte aus Afrika.
Ein gutes Beispiel ist die große grausame Plünderung von Benin -Bronze während des so genannten „Benin Massakers“ aus dem damaligen Beninreich (heute Mittelwestnigeria). Man könnte sich hier auch fragen: Wie viel haben die Europäer für diese Waren bezahlt?
Wer weitere Antworten sucht auf die Frage, warum die Leute hierher kommen, könnte auch in Betracht ziehen, ob es vielleicht daran liegt, dass man in Somalia oder im Sudan schnell mal diverse Körperteile dank einer Mine (made in USA oder einem Land Europas) verlieren kann oder eine Kugel (sponsored bei Kalaschnikow) in den Schädel bekommt. Hier ist das ja wohl (noch) nicht so.
Von politischen Hintergründen abgesehen, was hat die Massen von Europäern damals von hier weggetrieben? Die Antwort ist sicherlich nicht schwer zu finden: Armut, Arbeitslosigkeit, Vertreibung, Unruhe, Krieg, Unterdrückung, religiöse Intoleranz und Diskriminierung aber auch Gier und Nationalismus.
Warum fällt es manchen Menschen so schwer zu verstehen, dass für Europäer nicht weiterhin Sonderregeln gelten sollten? Die Menschen, die jetzt in Europa leben oder Zuflucht suchen, wie z.B. die Flüchtlinge der Cap Anamur oder die vor kurzem verschwundene Handballnationalmannschaft aus Sri-Lanka, sind vielleicht aus ähnlichen Gründen gekommen wie die Menschen, die damals im 18. Jahrhundert aus Europa geflüchtet sind.
Man sollte sie deshalb nicht gleich als Kriminelle behandeln, sondern als Menschen in Not, die eine nationale Bereicherung darstellen. Erstrebenswert ist heute das Multitalent mit Weltoffenheit. Wir sollten uns auch darüber im Klaren sein, dass zukünftig immer wieder solche verzweifelten Menschen bei uns eintreffen werden, so lange die Welt sich weiterhin in die wohlständischen und konsumfreudigen Reichen und die hungernden Armen teilt …die Politik unserer Festung Europa wird dies auch nicht verhindern können.
Wir sind heute in allen Lagern bewusst oder unbewusst multilingual geworden – „Falafel“, „Döner“, „Pizza“ oder „Bazar“ sind mittlerweile keine Fremdwörter mehr! Die großen Sprachen der Welt findet man fast überall im täglichen Gebrauch der deutschen Sprache. Europa kann sich nicht für die Ewigkeit isolieren und einmauern gegen Einwanderung aus der sogenannten „Dritten Welt“, wenn es gleichzeitig Expandierung in der Fremde sucht.
Die Wahrheit ist, Europa sollte zum Preis seiner dunklen Vergangenheit stehen. Dies bedeutet, wir sollten nicht nur „globo- lokal“ fair denken, sondern auch handeln. In einer immer enger zusammen wachsenden Welt der Globalisierung, beschleunigt durch die Informationstechnologie, können wir nicht mehr länger wegschauen und die Menschen in den Entwicklungsländern ignorieren, da wir nur diese eine Erde haben, denn schon längst ist unsere Erde ein globales Dorf geworden….leider ist das Vielen noch nicht aufgefallen!