Attraktivitaet, Perzeption und sicherheitspolitische Risiken seit ihrer Staatsgrundung
von
Ezeh Chinonso Kennedy
B.Sc., M.Sc., Ph.D.
Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und des sowjetischkontrollierten Osteuropas gibt es noch viele offene Fragen. Ostmitteleuropa is wieder aufgetaucht – als eine geographische Zone mit gewaltigen Probleme, die Angst, Misstrauen und Instabilitaet hervorrufen. Viele Laender, einschliesslich der Slowakei, sind alleingelassen, ohne Bindung an einen starken Partner. Geopolitisch haben sie ihre fruehere Verbindung zum Osten verloren, und mittlerweile sind sie kulturell vom Kontakt mit der sich dynamisch entwickelnden westeuropaeischen Zivilisation abgeschnitten. Jedes Land dieser schwer zu definierenden Region sucht deshalb nach einer aussen- und sicherheitspolitisch gefestigten Position.
In der Slowakei gibt es verschiedene Ideen und Orientierungen die Sicherheitsposition betreffend. Kurz nach der Staatsgruendung hat sich eine Orientierung in Richtung der westlichen Sicherheitsinstitutionen allgemein durchgesetzt; die Politik- und Sicherheitsexperten geben dieser Orientierung einhellig den Vorrang. Einige Mitglieder der intellektuellen Elite scheinen jedoch die geopolitische Lage der Slowakei zu
ueberschaetzen, und betrachten die slowakische Lage als eine kostbare “Ware“, die sich mit Gewinn im Osten und im Westen verkaufen laesst.
Nach der Aufloesung der Tschechoslowakei hat die Slowakische Republik allerdings einige wichtige geopolitische Vorteile eingebuesst:
- Durch die Trennung der Foederation wurde die Slowakei nach Osten geschoben und verlor die gemeinsame Grenze mit der NATO (Deutschland);
- die Anbindung an den Westen (seit 1995 an die EU) blieb geschraenkt auf eine kurze Grenze mit Oesterreich (115 km)
- langfristig kann die Slowakei mit den anderen Visegrad- Laendern wirtschaftlich nicht Schritt halten. Vor allem der wichtigste Geschaeftspartner, die Tschechische Republik, hat sich zwischen 1993 und 1996 immer mehr von der Abhaengigkeit vom slowakischen Absatzmarkt geloest;
- die Slowakei hat nach der Trennung von Tschechien ihre laengste Grenze (631 km) mit Ungarn, einem Land also, zu dem wegen Unfaehigkeit, mit der eigenen ungarischen Minderheit Frieden zu schliessen, ein gespanntes Verhaeltnis besteht, was als destabilisierendes Element in Ostmitteleuropa gelten kann;
- die Grenze zur GUS (Ukraine – 96 Km) wird im Falle eines kleinen Staates, der kronische innenpolitische Defizite aufweisst, von den integrierten europaeischen Laendern eher als Risikofaktor denn als Vorteil
Dennoch ist die Slowakei in Ostmitteleuropa aus zwei Gruenden von Bedeutung. Erstens ist die Slowakei das einzige Land der
Visegrad-Gruppe, das an die anderen drei Visegrad-Laender (Polen, Ungarn, Tschechische Republik) angrenzt. Die Slowakei koennte damit eine zentralle Rolle innerhalb der Visegrad-Gruppe spielen. Zweitens ist die Slowakei das oestlichste der Visegrad- Laender und hat enge Beziehungen mit der Ukraine und Russland gepflegt. Die Slowakei koennte daher eine positive Brueckenfunktion zwischen den westlichen und den GUS Staaten erfuellen und zur Schaffung eines vereinten Europas beitragen.
Auf der anderen Seite, wenn sich Bratislava von den anderen Visagrad-Laendern distanziert oder von ihnen die kalte Schulter gezeigt bekommt, koennte die tschechisch-slowakische Grenze in Europa die neue Trennungslinie zwischen Ost und West werden: ‘‘If Slovakia is not allowed to participate full in Visegrad group and provide a political, economic and social bridge to Ukraine, thereby facilitating the evolution of a united Europe, then the Velvet divorce risks dividing Slovakia and Ukraine from the West“; (in Jeffrey Simon “Velvet Divorce“, Visegrad Cohesion and European Fault Line; Mc Nair Paper 23, Washington DC, Institute for National Strategic Studies, 1993, S. 22).
Im politischen Denken der Slowakei gibt es vor allem vier geopolitische Modelle, mit denen die slowakische Aussen- und Sicherheitspolitik operieren koennte:
- Modell einer Bruecke zwischen Ost und West:
Dieses Konzept geht davon aus, dass Mitteleuropa ein unentbehlicher Bestandteil Europas ist und dass die Slowakei ein Land von grosser Wichtigkeit in Mitteleuropa ist. Dabei hat die Slowakei die Aufgabe, eine Bruecke zwischen Osteuropa und Westeuropa zu schlagen. Dieses Modell der Bruecke zwischen Ost und West sowie die Versuche, diese Zwischenkriegskonzeption in die slowakische Gegenwart zu uebertragen, sind hinsichtlich der angestrebten Integration in die NATO untauglich. Und ausserdem is diese
Betrachtungweise fuer den schlechten Ruf der Slowakei in Bruessel (Belgien) verantwortlich. Die Argumente fuer das Modell der Bruecke zwischen Ost und West sind rein historischer Art: a) die Identifikation der Slowakei ist nicht westeuropaeisch, sondern mitteleuropaeisch; b) die Slowakei erfuellte in der Geschichte haeufig die Rolle einer mitteleuropaeischen Bruecke; c) zur Zeit der tuerkischen Expansion war die Slowakei so etwas wie eine “Redoute Europas“ und verband die tschechischen und oesterreichischen Laender der Habsburger Monarchie mit Polen, Siebenbuergen und Russland; d) an den Festungen der Suedslowakei wurde der tuerkische Vormarsch in Europa gestoppt; e) die Brueckenfunktion der Slowakei spielte eine grosse Rolle in Adolf Hitlers Kalkulationen mit der Slowakei in den Jahren 1939-1945.
Unter den obengenannten Gesichtspunkten ist ausserdem zu bedenken, dass die Brueckenfunktion zwischen Ost und West genauso von anderen Staaten Mitteleuropas uebernommen werden koennte, wie etwa von Oesterreich, Ungarn oder von der Tschechischen Republik. Die Slowakei nimmt nur ein kleines Gebiet zwischen Tschechen und Ukrainern ein, waehrend die Tschechische Republik einen “Keil“ bildet, der tief in die germanische Welt hineinreicht. Ungarn und Oesterreich koennen ebenso wie die Slowakei auf ihre historische Rolle als Bruecke zwischen oestlichem und westlichem Europa verweisen.
- Modell der Pufferzone:
Nach einer Definition von Martin Wight, ist eine Pufferzone “a region occupied by one or more weaker powers between two or more stronger powers; it is sometimes described as a „power vacuum‟”. Die staerkeren Maechte, die diese Pufferzone umgeben, werden sich dabei bemuehen sicherzustellen, dass ihre Rivalen keine Kontrolle ueber die schwaecheren Staaten an ihren Grenzen bekommen; (Martin Wight, Power Politics, London, 1979, S. 160/61).
Das Modell einer Pufferzone ist besonders in einer Region, in der es zukuenftig zu einen staendigen Interessenkonflikt zwischen den zwei einflussreichsten geopolitischen Gruppierungen (NATO/EU und Russische Foederation) kommen konnte, gut vorstellbar. Denn eine solche Pufferzone waere fuer ein stabiles Sicherheitssystem in Europa von Vorteil. Da sich die Slowakei geographisch zwischen der NATO auf der einen Seite und der GUS auf der anderen Seite befindet, waere ein stabiles Sicherheitssystem in Europa fuer die Slowakische Republik notwendig. Aufgrund der Tatsache, dass sich nach dem Zerfall der UdSSR die Zahl unabhaengiger Partner, die ein Gegenwicht zur westlichen Allianz bilden koennten, erhoeht hat, verstaerkt sich die Moeglichkeit einer Destabilisierung des gesamten europaeischen Sicherheitssystem. Im Falle eines Konfliktes zwischen der NATO und der GUS wuerde die Slowakei gemeinsam mit den anderen Visegrad-Laendern das Vorfeld der Verteidigung bilden. Das heisst, dass eine Pufferzone auch ein unsicheres und sogar gefaehrliches Gebiet sein kann. In der Geschichte finden sich viele Beispiele dafuer, dass eine Pufferzone frueher oder spaeter von der einen oder der anderen Seite ueberrannt wurde. Martin Wight schreibt dazu:
Fluctuations of power make most buffer zones unstable and ambiguous. A policy adopted by one great power to preserve the neutrality of a buffer state may be seen by its rival as reducing the buffer state to a satellite; and a buffer state may be regarded by the same statesman, in different circumstances, as either a defensive bulwalk or a springboard for further expansion; (M. Wight, 1979, S. 160/61).
Ein anderes Problem des Modells der Pufferzone liegt darin begruendet, dass dieses Modell die Ost-West Teilung aus der Zeit des Kalten Krieges wieder lebendig machen will, obwohl der Ostblock zusammengebrochen ist. Und schliesslich ist es inkonsequent von der Slowakei, beides zu versuchen, eine Pufferzone zu sein und sich in den Westen zu integrieren; obwohl die slowakischen Sicherheitsexperten beim Modell der Pufferzone
davon ausgehen, dass das slowakische Territorium den Verteidigungsinteressen der NATO dienen wuerde.
- Modell des machtpolitischen Zentrums:
Dieses Modell geht davon aus, dass die ostmitteleuropaeischen geopolitischen Probleme moeglicherweise durch eine wirtschaftliche, politische und militaerische Integration im Rahmen der Sugregion geloest werden koennen. Als Oesterreich 1995 in die EU aufgenommen wurde, gewann das Modell des machtpolitischen Zentrums voruebergehend theoritische Prioritaet. Im Zentrum Europas war naemlich dadurch eine Staatengruppierung mit rund 85 Millionen deutschsprechenden Angehoerigen entstanden. Diese Gruppierung verfuegt ueber absolute wirtschaftliche Ueberlegenheit in der Region.
Das Modell des machtpolitischen Zentrums geht davon aus, das die Ueberlegenheit des deutschen Blocks in Zentraleuropa so ausufert, dass das machtpolitische Gleichgewicht gestoert wird und die mitteleuropaeischen Staaten gezwungen sind, sich der deutschen Uebermacht unterzuordnen. Um das regionale Gleichgewicht zu sichern, koennte – nach Vorstellung einiger Sicherheitsexperten – zum Beispiel die Donaufoederation (bestehend aus den ehemaligen Staaten Oesterreich-Ungarns) wiederbelebt werden. Diese Foederation wuerde naturlich auch Oesterreich einschliessen, das dadurch die Chance haette, seine ehemalige Machtposition in Europa wiederzubeleben.
Die dem Modell zugrundeliegenden Ideen kamen Anfang der 90er Jahre auf, wurden dann aber von den direkten Integrationsabsichten der Oestmitteleuropaer in den Hintergrund gedraengt. Die Grundung der Zentraleuropaeischen Initiative (ZEI) wurde anfaenglich als moeglicher Ansatz fuer das Modell des machtpolitischen Zentrums gesehen. Obwohl sich diese Modell bisher als Utopie erwies, koennte es bei einer Integrationskrise oder einem Integrationsstopp fuer die Mitteleuropaer wieder aktuell werden.
- Modell der neutralen Zone
Dieses Model hat seinen Ursprung in den 20er Jahren; es schlaegt die Neutralisierung Mitteleuropas als atomwaffenfreie Zone vor. Mitte der 90er Jahre wurde das Modell in der Slowakischen Republik weiterentwickelt zur Idee der “Neutralitaet fuer die Slowakei“. Bisher ist aus der Idee der Neutralitaet zwar noch keine Konzeption geworden, aber sie taucht immer wieder in Form einer gekraenkten Reaktion auf die geringe Bereitschaft des Westens auf, die Slowakei bei der ersten Erweiterungswelle zu integrieren. Die Idee der Neutralitaet wird bisher nur von Randgruppen (z. B. Assoziation der Anhaenger der Neutralitaet) propagiert; (Siehe den Artikel “Die Neutralitaet ist keine Loesung“ in: Sme, 25.01.1996).
Sie ist jedoch auch in Erklaerungen von Repraesentanten aller drei Koalitionsparteien zu finden. Da die politische Kultur in der Slowakei noch nicht gefestigt ist, besteht die Gefahr, dass sich die Waehler bei einer eventuellen Volksabstimmung fuer die Nuetralitaet der Slowakei entscheiden wuerden – falls sich die HZDS dafuer ausspricht.
Seit dem 1. Januar 1993 lassen sich verschiedene Etappen der Integrationsaussichten der Slowakei beobachten. Immer wenn die Chancen fuer eine Westintegration geringer wurden, diente das als Anlass zur Belebung der Idee der Neutralitaet und zur Festigung einer prorussischen Einstellung. Folgende Etapen der Integrationsaussichten lassen sich nachvollziehen:
- Die Slowakei hat sich – nach anfaenglichem Zoegern – klar fuer die Orientierung auf die westlichen Verteidigungs- und Sicherheitsstrukturen
- Die Voraussetzungen fuer eine positive Aufnahme der slowakischen bemuehungen in dieser Richtung waren durch die Besetzung des Aussenministerpostens 1993/94 gegeben (in den Personen von Milan Knazko und Josef Moravcik).
- Parallel dazu intensivierten sich die politischen und wirtschaftlichen slowakisch-russischen Beziehungen, die nach Meinung auslaendischer Beobachter den Rahmen der wirtschaftlichen Notwendigkeit ueberschritten
- Die Unterbreitung des Gesuches um Aufnahme in die NATO durch Praesident Kovac in Brussel erfolgte schon im Zeichen des sich abzeichnenden Konfliktes zwischen dem Praesidenten und dem Ministerpraesidenten sowie dem prowestlichen und dem prorussischen Fluegel der slowakischen Politik. Zur dieser Zeit war die Slowakei schon in mehrfacher Hinsicht vertraglich an Russland gebunden. Nach dem Regierungswechsel im Maerz 1994 nahm unter dem neuen Aussenminister Eduard Kukan die Glaubwuerdigkeit der slowakischen Integrationsbemuehungen wieder zu, obwohl alle Anzeichen dafuer sprachen, dass die prowestliche regierung nicht von langer Dauer sein wuerde und die vorzeitigen Wahlen verlieren
- Die Ursachen fuer das Scheitern der Integrationschancen der Slowakei sahen aussenstehende Beobachter nicht unmittelbar in den Parlamentswahlen vom Oktober/November 1994, sondern in der darauffolgenden innenpolitischen Entwicklung Ende 1994 und 1995, als es zu einer ungewoehnlichen Belebung der slowakisch- russischen Beziehungen
- Das Ansehen der Slowakei als moeglicher Kandidat fuer die Westintegration erreichte einen vorlaeufigen Tiefpunkt, um 1996 hat sich trotz des im August erfolgten Wechsels an der Spitze des Aussenministeriums kaum etwas an der negativen westlichen Beurteilung der slowakischen Aussenpolitik Die Grundsaetzliche Erklaerung des neuen slowakischen Aussenministers Pavol Hamik vor der OSZE in Wien am 10. Oktober 1996 ueber die
slowakische Integrationsbereitschaft wurde in Namen der EU von der irischen Delegation (die zu dieser Zeit den Vorsitz in der EU hatte) sehr reserviert aufgenommen. Das wiederum ist Wasser auf die Muehlen der Neutralitaetsanhaenger in der Slowakei.
Die Prinzipien der Neutralitaet gehen in der Slowakei auf verschiedene Quellen zurueck:
- Innenpolitische Machtkalkulationen: Bei einer festen aussenpolitischen bindung an die ehemaligen kommunistischen Staaten an die Russischen Foederetion besteht keine Gefahr, dass der Stand der Demokratie in der Slowakei von jenen Laendern kritisiert wird; (Siehe: Ivo Samson, in: Internationale Beziehungen, Nr. 3, 1986, S. 30-39).
Bei einer Zugehoerigkeit zu westlichen integrationsstrukturen bestuende hingegen die Gefahr, dass sich die europaeischen bzw. euroatlantischen Institutionen weiterhin in die inneren Angelegenheiten der Slowakei
„einmischen“.
- Eine weit verbreitete Furcht vor negativen gesellschaftlichen Erscheinungen – wie organisiertes Verbrechen oder Drogen
-, die allgemein dem Einfluss der westlichen Zivilisation zugeschrieben werden. Diese Erscheinungen existierten zwar in geringen Masse auch waehrend der kommunistischen Aera, doch wurden sie in dieser Zeit weitgehend totgeschwiegen.
- Die kulturelle Tradition der slowakischen Intelligenz ist von Russophilentum und Antisemitismus gepraegt, verbunden mit der politischen Tradition des autoritaeren Staates; waehrend des Zweiten Weltkrieges kolaborierten z. B. grosse Teile der politischen Eliten mit dem Klerofaschismus und nach dem Krieg mit dem
Zu Beginn der 90er Jahre kam es zu einer Allianz der nationalistischen und altkommunistischen Stroemungen in der Slowakei. Beide Lager sahen in der Neutralitaet, das heisst in einer antiwestlichen Einstellung, die Moeglichkeit, sich fuer die Niederlagen von 1944/45 bzw. 1989/90 zu revanchieren. Die Nationalisten und die Altkommunisten sehen sich geopolitisch von allen Seiten bedroht: vom Sueden durch die ehemalige Vormacht Ungarn, vom Westen durch die nachfolgende Vormacht Tschechien, vom Norden durch ein stark prowestliches Land, das in der slowakischen Geschichte als Verbuendeter Ungarns bekannt ist – Polen, und soger von innen durch die wenigen noch in der Slowakei lebenden Juden und durch Freimaurer, die in akademischen Kreisen vermutet werden.
All diese Befuerchtungen werden offen von der Koalitionspartei SNS und sogar von einigen Spitzenfunktionaeren der HZDS ausgesprochen. Dadurch muss der Eindruck entstehen, dass allein vom Osten keine Gefahr fuer die Slowakei droht. Die regierende Bewegung hat sich bisher nicht von den Neutralitaetsprokalamationen der verschiedenen Lager distanziert. Das fuehrte dazu, dass die slowakische Integrationspolitik seit 1995 unberechenbar und intransparent geworden ist. Dies koennte wiederum als Signal dafuer verstanden werden, dass die aussen- und sicherheitspolitische Konzeption der Slowakei sich jedezeit in Richtung eines international garantierten Status der Neutralitaet begeben kann.
Die moegliche Neutralitaet der Slowakei steht jedoch in krassem Widerspruch zur Mitgliedschaft in westlichen Verteidigungsstrukturen. Unter den Bedingungen der Schaffung eines System der kollektiven europaeischen Sicherheit ist die Neutralitaet auch mit einer EU-Mitgliedschaft unvereinbar. Da die Neutralitaet der Slowakischen Republik ein Misstrauen gegen die gemeinsame Aussen- und Sicherheitspolitik zum Ausdruck bringen wurde, waere dadurch das System der kollektiven Sicherheit blockiert. Und letzten Endes wuerde die slowakische Neutralitaet das Land in die freiwillige Isolation fuehren.
Seit der teilung der tschechoslowakei 1993 hat die Slowakische Republik keine unmittelbare Grenze zur NATO mehr. Das Land ist – mit Ausnahme einer kurzen Grenze zu Oesterreich – ausschliesslich von Reformstaaten umgeben, die frueher zur WVO gehoerten. Diese geopolitische Lage sowie die relative oekonomische Schwaeche der Slowakei sind der Grund dafuer, dass die Situation in den benachbarten Reformlaendern sowie deren Sicherheits-und Aussenwirtschaftspolitik zum wichtigsten Massstab fuer die Beurteilung der eigenen Sicherheitslage in der Slowakischen Republik geworden sind.
Dazu kommen historische Zusammenhaenge: Ruthenien zum Beispiel gehoerte 1000 Jahre lang zu Ungarn. Nach dem ersten Weltkrieg fiel Ruthenien an die Tschechoslowakei, kam ab November 1938 kurz wieder zu Ungarn und wurde 1945 der Sowjetunion angeschlossen. Heute bildet Ruthenien die Westprovinz der Ukraine; die Mehrheit der ruthenischen Bevoelkerung wuerde jedoch einen Anschluss an die unabhaengige Slowakei bevorzugen.
Besonders nah liegt der Nationalitaetenkonflikt im Fall Ungarn. In der Slowakischen Republik macht der Anteil von Buergern ungarischer Nationalitaet an der Bevoelkerung mehr als elf Prozent aus. Damit ist diese Minderheit fuer die Slowakei von gesamtgesellschaftlichem Gewicht, stellt aber auch eine potentielle Bedrohung ihrer territorialen Integritaet dar. Auf der anderen Seite wird befuerchtet, dass die etwa
111.000 Slowaken, die in Ungarn leben, Nachteile haben koennten. Hinzu kommt der Streit um das umstrittene Kraftwerk Gabcikovo-Nagymaros, der fuer zusaetzliche Spannung in den slowakisch-ungarischen Beziehungen fuehrte.
Das Minderheitenproblem erhielt 1993 politischen Zuendstoff, als die ungarische Regierung versuchte, aufgrund eines Gesetzes, das die ungarische Minderheit in der Slowakei in ihren Rechten beschnitt (danach waren keine ungarischen
Orts- und anderen Bezeichnungen moeglich), den Beitritt der Slowakischen Regierung zum Europarat zu blockieren. Inzwischen hat die slowakische Regierung 1994 eine Gesetzes- Ergaenzung erlassen, die es ermoeglicht, zweisprachige Orts-, Strassen- und Behoerdenzeichnungen in Orten mit einem Minderheitenanteil von mehr als 20 Prozent vorzunehmen.
Zwischen der Tschechischen und der Slowakischen Republik ist es – entgegen frueheren Befuerchtungen – nach der Teilung nicht zu einem zwischenstaatlichen oder Nationalitaetenkonflikt gekommen. Die ethnisch gepraegten Auseinandersetzungen, die zur Teilung fuehrten, haben seither immer mehr an Bedeutung verloren. Die wechselseitigen Beziehungen zwischen tschechischer und slowakischer Republik sind aus wirtschaftlichen Grunden eher symbiotischer Art; auch latente Spannungen um den illegalen Zustrom slowakischer Wanderarbeiter stellen keine Gefahr fuer die tschechische-slowakischen Beziehungen dar; die in Boehmen und Maehren ansaessige slowakische Minderheit umfasst etwa 300.000 Slowaken.
Ueberhaupt verbindet man in der Slowakei die Wahrnehmung sicherheitspolitischer Risiken staerker als in den Nachbarstaaten vor allem mit Gefaehrdung der inneren Stabilitaet. Das hat – neben der komplizierten Bevoelkerungsstruktur – seine Ursache vor allem in der Labilitaet der politischen Strukturen innerhalb des neugegruendeten Staatswesen sowie im Zwang zur Umstrukturierung der krisengeschuettelten Wirtschaft und in der Notwendigkeit, soziale Spannungen, die zu politischen Konflikten fuehren koennen, abzubauen (vor allem in den Industrieregionen, die von hoher Arbeitslosigkeit betroffen sind).
Neben den bereits genannten Risiken ist die Slowakei ausserdem mit Herausforderungen und Bedrohungen konfrontiert, wie sie auch in den anderen Reformstaaten zu beobachten sind: mangelnde aussenwirtschaftliche
Wettbewerbsfaehigkeit, Devisenknappheit, Drogen, AIDS, unkontrollierte Waffentransporte, internationaler Terrorismus, Sorgen vor Umwelt- und Reaktorkatastrophen, vor organisierter Kriminalitaet mit mafiosen Strukturen, sowie vor ungesteuerten Einwanderungen, die durch Armut oder bewaffnete Konflikte in Ost- und Suedosteuropa hervorgerufen werden.
Diese Probleme, die als latente bzw. verborgene Bedrohungen angesehen werden, versucht die Slowakei durch Abkommen mit anderen Laendern und internationalen Koerperschaften in den Griff zu bekommen. Dazu kommen noch Risiken, die eine Folge der politischen Situation in Europa sind. Diese werden als unmittelbare Bedrohungen empfunden. Es handelt sich dabei um extremen Nationalismus und ethnische Saeuberungen, um die unstabile Situation in einigen Laendern der ehemaligen Sowjetunion sowie den Konflikt auf dem Balkan. Obwohl keines dieser Risiken eine direkte Bedrohung fuer die Slowakei darstellt, bilden diese Risiken ein Potential fuer regionale Instabilitaet. Durch die Zusammenarbeit mit der UNO und den europaeischen Institutionen versucht die Slowakei zu verhindern, dass aus diesem Potential ersthafte Probleme erwachsen.
Die Slowakische Regierung unterhaelt gute Beziehungen zu Russland und zur Ukraine. Diese Beziehungen beruhen auf starken wirtschaftlichen Bindungen. Dennoch liegt auch in den Beziehungen zu diesen beiden Laendern ein gewisses Risikopotential. Beide Laender besitzen Atomwaffen, und Russland werden regionale Ambitionen unterstellt. Ausserdem koennte es zur Unterbrechung der Zufuhr strategischer und insbesondere energetischer Rohstoffe aus dem Raum der GUS kommen; oder auch zu protektionistischen Massnahmen Russlands gegen Exporte aus der Slowakei. Weiterhin haette ein fuer moeglich gehaltener Konflikt zwischen Russland und der Ukraine negative Auswirkungen auf die slowakische Wirtschaft.
In der Slowakischen Republik werden also keine akuten militaerischen Gefaehrdungen wahrgenommen. Dazu kommt die Erkenntnis, dass im Falle einer aeusseren Bedrohung die Slowakei – gemessen an ihren verfuegbaren militaerischen Mitteln – alleine nicht in der Lage waere, dieser Bedrohung wirksam zu begegnen.
Aus dieser militaerischen Schwaeche sowie der besonderen geographischen Lage leitet die slowakische Fuehrung die latente strategische Gefahr ab, dass die Slowakei – sollte es zu Konflikten oder Krisensituation kommen – zum Spielball oder zum Aufmarschgebiet rivalisierender groesserer Maechte werden koennte. Vier Szenarien, die zu einer solchen Situation fuer die Slowakei fuehren koennten, sind im Praesentationsdokument der Slowakischen Republik fuer die NATO-Partnerschaft fuer den Frieden skizziert:
- eine grossangelegte Aggression in Ostmitteleuropa, die sich zwar nicht primaer gegen die Slowakei richtet, jedoch das Staatsgebiet der Republik direkt oder indirekt einbeziehen koennte,
- ein eskalierender Grosskonflikt auf dem Balkan,
- eine lokal beschraenkte Invasion,
- innere Unruhen infolgte eskalierender ethnischer Konflikte; (Partnership for Peace, Presentation Document. The Slovac Republic, 1994).
In der gegenwaertigen Situation scheint jedoch keines der vier Szenarien wahrscheinlich zu sein.
Insgesamt gesehen wird die Slowakei mit zwei unterschiedlichen Kategorien von Sicherheitsrisiken konfrontiert:
- Risiken die vom Osten kommen:
- Instabilitaet, die in der unuebersichtlichen Situation in die Ukraine, in einigen Teilen der Russischen Foederation und im decision-making der fuehrenden politischen Kraefte in Russland Die Aussagen der russischen Politiker
widersprechen sich in einem solchen Masse, dass sie keine Verlaesslichkeit auf den Kurs erlauben.
- Destabilisierung infolge der Migrationswellen, die aus dem Osten kommen und die Slowakei als Transitterritorium missbrauchen, was zu schwerwiegenden Komplikationen in den bilateralen Beziehungen zu den Nachbarstaaten Oesterreich insbesondere Tschechien gefuehrt
- Das mit der Situation im Osten generell verbundene Sicherheitsvakuum, das nach der Aufloesung der WVO, die fuer die ehemalige Tschechoslowakei die unfreiwilligen Sicherheitsgarantien stellte, nicht ausgefuellt
- Das Risiko, das aus der Tatsache resultiert, dass fuer die ehemaligen WVO-Laender Ostmitteleuropas ein System der Kollektivsicherheit mit “harten“ Sicherheitsgarantien
Durch diese Faktoren unterscheidet sich die Sicherheitslage der Slowakei von den Laendern, die ihre Sicherheitsgarantien von einer NATO-Mitgliedschaft ableiten sowie von den Neutralstaaten, die ihre Sicherheit durch internationale Vertraege bestaetigt haben und/oder EU-Mitglieder sind.
- Risiken, die von Westen kommen:
Diese Risiken werden vor allem in der unvorteilhaften Beeinflussung des globalen Sicherheitsklimas in Europa gesehen; das zeigt sich in einer allgemeinen Unsicherheit in Ostmitteleuropa, in der sich die Sicherheitslage der Slowakei jedezeit verschlechtern kann. Die massgebliche Beeinflussung des Sicherheitsklimas in Europa geht von den “sicherheitspolitisch gesicherten“ westlichen Staaten aus. Die von den westlichen Integrationsinstitutionen ausgehenden Risiken koennten wie folgt zusammengafasst werden:
- Die unentschlossenheit in der Frage der NATO- Osterweiterung und der unterschiedliche Akzent, den die einzelnen NATO-Mitgliedstaaten auf die Osterweiterung
- Die unsicherheit der westlichen Staaten, ob die NATO noch in diesem Jahrhundert, zu Beginn des naechsten Jahrhunderts oder noch spaeter erweitert werden soll und die stark divergierenden Meinungen, die von verschiedenen westlichen Politikern ueber dieses Thema geaeussert
- Die Ruecksicht, die die NATO auf die russische Erlaubnis in Sachen Osterweiterung Der Zeitpunkt der Sicherheitsintegration in die NATO oder die WEU haengt somit nicht primaer von den Verhandlungen zwischen der NATO und den zentraleuropaeischen Laendern ab, sondern vom „Geschaeft“ zwischen der NATO und Russland, mit anderen Worten von dem Preis, den Russland fuer sein Einverstaendnis verlangen wird.
- Die ungewissheit darueber, inwieweit die NATO die russischen Vorbehalte fuer angebracht haelt, und damit einen Vorwand hat, nach der Veraenderung der Sicherheitslage Anfang der 90er Jahre keine zusaetzlichen Erweiterungsexperimente vorzunehmen.
Die meisten oben angefuehrten Risiken sind im Sicherheitsmilieu der Slowakei vollig neu. Sie ergaben sich als Konsequenz des Endes der bipolaren Welt nach 1989. Die slowakische Gesellschaft hat noch nicht gelernt, sich mit diesen Risiken auseinanderzusetzen. Das bringt wiederum innenpolitische Defizite hervor.