Von Laura Roser – Ruhr-Universität Bochum Institut für Pädagogik
Obwohl das Gebiet des heutigen Liberia natürlich schon lange vorher von Stammesbevölkerungen besiedelt war, begann seine eigentliche, „moderne“ Geschichte erst im Jahr 1821. Ihre Wurzeln liegen sozusagen in den Vereinigten Staaten, was Liberias Geschichte in Afrika einzigartig macht:
Mit der allmählichen Befreiung von Sklaven Anfang des 19. Jahrhunderts sah sich die amerikanische Regierung zunehmend mit drohenden Aufständen jener Menschen, die zuvor Sklaven gewesen waren, sich jetzt aber immer noch als unterprivilegiert wahrnahmen, konfrontiert. Um diesem Problem Herr zu werden, gründete sich 1816 die „American Colonization Association“, welche beschloss, die freien Sklaven an einen Ort außerhalb Amerikas zu bringen. Die Wahl fiel logischerweise auf Afrika, sah man dies doch als eigentliche Heimat der Sklaven an. Diese lebten allerdings zum großen Teil schon in zweiter oder dritter Generation in Amerika und hatten eine entsprechend geringe Bindung an die Heimat ihrer Vorfahren. Auf-grund des damaligen vorherrschenden Bildes von Afrika als dunklem, gefährlichem und unberechenbarem Kontinent, und da sie sich selbst – begründet auf dem Grundsatz virtue of birth – als Bürger Amerikas sahen, waren die freien Sklaven verständlicherweise nicht sehr angetan von diesem Vorschlag, was eine denkbar ungünstige Voraussetzung für dieses Projekt war. Nichtsdestotrotz landeten 1821 die ersten Siedler an der sogenannten „Pfefferküste“.
Ruhr-Universität Bochum
Institut für Pädagogik
WS 2006/7
HS A5, Teil 1:
Bildungsentwicklungen in Afrika
Dozentin: Prof. Dr. Christel Adick
– für den Erwerb von 8 CP –
Das Bildungssystem Liberias
unter Berücksichtigung
der Landesgeschichte
Inhalt
0. EINLEITUNG 3
1. DIE GESCHICHTE LIBERIAS 4
2. DAS BILDUNGSSYSTEM 6
2.1. TRADITIONELLE SCHULEN DER PORO UND SANDE 6
2.2. KORANSCHULEN 7
2.3. MISSIONSSCHULEN 7
2.4. DAS ÖFFENTLICHE SCHULWESEN 8
3. SCHLUSS 11
4. LITERATURVERZEICHNIS 12
0. Einleitung
Von Anfang an ist Liberia das Land der Gegensätze, der Spannungen, der Paradoxien. Ein Staat, der geschaffen ist, nicht gewachsen: geschaffen durch fremde Initiative, ein Staatswesen von einer enormen Künstlichkeit, das, schwankend und unsicher tastend, ein Selbstverständnis zu gewinnen sucht, aber mangels schöpferischer Originalität am Fremdverständnis orientiert bleibt; das nicht zu sich selbst finden kann, weil dieser Weg durch tausend Hindernisse ver-sperrt ist (Dick; 1970: 36f.).
Mit diesen Worten hat Dick auf sehr treffende Art und Weise eine Umschreibung für den Charakter des westafrikanischen Landes Liberia gefunden. Sie lassen sich sowohl auf dessen Geschichte als auch auf sein Bildungssystem übertragen. Geschichtlich gesehen ergeben sich Gegensätze, Spannungen und Paradoxien hauptsächlich aus der Zusammensetzung von Liberias Bevölkerung: Die – in Anlehnung an die ver-wendete Literatur – sogenannte Stammesbevölkerung sah sich Anfang des 19. Jahrhunderts mit der plötzlichen (Zwangs-)Immigration ehemaliger Sklaven aus Amerika konfrontiert, welche einen am westli-chem Modell orientierten Staat aufzubauen suchten, sich dabei aber auch immer auf fremde Hilfe angewiesen sahen.
Ähnliches gilt dementsprechend für das Bildungssystem Liberias, wel-ches anfänglich in fremder Hand lag und auch heute noch von ver-schiedensten Einflüssen geprägt ist. So spielt zum Beispiel die Stam-mesbevölkerung eine nicht unbedeutende Rolle. Dennoch unterscheidet sich ihre Art der Bildung und Erziehung stark von der später eingeführten westlichen, und von einem einheitlichen System kann auch heute nicht die Rede sein. Von besonderer Bedeutung sind außerdem die politischen Unruhen und der vieldiskutierte liberianische Bürgerkrieg Ende des 20. Jahrhunderts, dessen Auswirkungen in der heutigen Entwicklung des Staates und des Bildungssystems immer noch klar zu erkennen sind. Um diese Einflüsse zu verdeutlichen, werde ich im Folgenden zuerst einen historischen Blick auf Liberia skizzieren, um darauf aufbauend näher auf das derzeitige Bildungssystem und seinen Entstehungshintergrund einzugehen.
1. Die Geschichte Liberias
Obwohl das Gebiet des heutigen Liberia natürlich schon lange vorher von Stammesbevölkerungen besiedelt war, begann seine eigentliche, „moderne“ Geschichte erst im Jahr 1821. Ihre Wurzeln liegen sozusagen in den Vereinigten Staaten, was Liberias Geschichte in Afrika einzigartig macht: Mit der allmählichen Befreiung von Sklaven Anfang des 19. Jahrhunderts sah sich die amerikanische Regierung zunehmend mit drohenden Aufständen jener Menschen, die zuvor Sklaven gewesen waren, sich jetzt aber immer noch als unterprivilegiert wahrnahmen, konfrontiert. Um diesem Problem Herr zu werden, gründete sich 1816 die „American Colonization Association“, welche beschloss, die freien Sklaven an einen Ort außerhalb Amerikas zu bringen.
Die Wahl fiel logischerweise auf Afrika, sah man dies doch als eigentli-che Heimat der Sklaven an. Diese lebten allerdings zum großen Teil schon in zweiter oder dritter Generation in Amerika und hatten eine entsprechend geringe Bindung an die Heimat ihrer Vorfahren. Auf-grund des damaligen vorherrschenden Bildes von Afrika als dunklem, gefährlichem und unberechenbarem Kontinent, und da sie sich selbst – begründet auf dem Grundsatz virtue of birth – als Bürger Amerikas sa-hen, waren die freien Sklaven verständlicherweise nicht sehr angetan von diesem Vorschlag, was eine denkbar ungünstige Voraussetzung für dieses Projekt war. Nichtsdestotrotz landeten 1821 die ersten Siedler an der sogenannten „Pfefferküste“.
Insgesamt fanden so ungefähr 20 000 Menschen, teils freiwillig, teils unfreiwillig, ihre neue Heimat an der Westküste Afrikas, wo sie sich von Anfang an mit zahlreichen Schwierigkeiten konfrontiert sahen. So verstarben allein bis im Jahre 1843 zirka 2000 der ersten Siedler an einem Fieber. Die anderen mussten sich wiederholt mit Angriffen der Stammesbevölkerung auseinandersetzen, die sich in ihrem Territorium beschränkt sah. Angesichts ihrer sehr unterschiedlichen Hintergründe (die damals verschifften Sklaven entstammten verschiedenen afrikani-schen Ländern und Stämmen und waren in Amerika auch in verschie-denen Staaten untergebracht) war es erst der Kampf gegen derartige Widrigkeiten, der den Siedlern eine Art Gemeinschaftsgefühl vermittelte. Jedoch waren viele der Siedler aufgrund ihrer Vergangenheit in Sklaverei nicht bereit, ihre neugewonnene Freiheit „aufzugeben“ und sich etwa gemeinsamen Normen zu unterwerfen oder sich durch Arbeit einzubringen.
Außerdem hatte es die gebildetere Schicht der ehemali-gen Sklaven vorgezogen, in den Vereinigten Staaten zu bleiben, während sich vor allem Alte, Kranke und Arbeitsunfähige, die unter der Auflage, nach Afrika zurückzukehren, freigelassen worden waren, in Liberia eingefunden hatten. Diese sahen es zudem größtenteils als Aufgabe der Kolonisationsgesellschaft an, für ihr Wohlergehen zu sorgen und sie finanziell sowie materiell zu unterstützen. All diese Faktoren erschwerten den Aufbau eines neuen Landes erheblich (Dick; 1970: 17ff.).
Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kam ein spezieller ameriko-liberianischer Nationalismus unter den Siedlern auf. Die 1847 beschlossene Verfassung, die Liberia, das bis dahin unter amerikanischer Gouverneursverwaltung gestanden hatte, als unabhängige Republik auszeichnete, schloss Weiße von der Zugehörigkeit des Staates aus. Paradoxerweise entwickelte sich daraufhin in Liberia, das ja eigentlich als Zufluchtsort für unterdrückte Schwarze gedacht war, eine Art Kastensystem mit immigrierten Mulatten als Führungsschicht. Deren Macht ließ erst mit den 1860ern nach, als auch die Einwanderung aus Amerika abebbte (ebd. S. 22ff.).
Nach und nach versuchte man, die Stammesbevölkerung zu integrieren, indem man ihr 1904 und 1907 das Bürger- respektive Wahlrecht zusprach. Jedoch hatte dieses Bemühen wenig Erfolg, und die unter-schiedlichen Einstellungen und Kulturen der liberianischen Bevölkerungsgruppen führten immer wieder zu Konflikten und gipfelten 1989 in einem achtjährigen Bürgerkrieg. Im Jahr 2003 wurde nach erneuten Unruhen ein Waffenstillstand vereinbart, jedoch sind die Spuren des Krieges bis heute in sämtlichen Strukturen zu erkennen und werden vermutlich noch lange die Entwicklung des Landes beeinträchtigen (http://www.auswaertiges-amt.de/diplo/de/Laender/Liberia.html).
2. Das Bildungssystem
Die Uneinheitlichkeit Liberias, die aus seiner eben erläuterten, unikalen Geschichte sowie dem Nebeneinanderher-Bestehen verschiedenster Bevölkerungsgruppen resultiert, spiegelt sich in vielen Bereichen noch heute wider – so auch im Bildungssystem. Es gibt heute sowohl eine eindeutige Tendenz zur Verweltlichung des liberianischen Bildungssystems als auch ein Festhalten an traditioneller afrikanischer Erziehung. Während sich besonders das öffentliche Schulwesen Liberias nach Ankunft der ehemaligen Sklaven in ausländischer Hand befand, übernahmen später auch Afrikaner (wie z.B. der 1851 immigrierte Edward Wilmot Blyden, der sich besonders für die Rechte der schwarzen Bevölkerung einsetzte) Verantwortung für das liberianische Bildungssystem, hielten dabei aber weitestgehend an einer Orientierung am westlichen Modell fest (Adick; 1989: 1ff.).
Im Folgenden soll auf die Hauptkomponenten des historischen sowie des gegenwärtigen liberianischen Bildungssystems eingegangen werden: die traditionellen Stammesschulen, die durch die Verbreitung des Islam entstandenen Koranschulen, die christlichen Missionsschulen und die stark am westlichen Modell orientierten öffentlichen Schulen.
2.1. Traditionelle Schulen der Poro und Sande
Siebzig Prozent der liberianischen Bevölkerung wohnen in ländlichen Gebieten und sind dementsprechend stark mit ihrer Kultur und ihren Traditionen verbunden. Unter den zahlreichen Ethnien Liberias (darunter 16 Hauptstämme, http://www.auswaertiges-amt.de/diplo/de/Laender/Liberia.html) sind die sogenannten secret so-cieties der Poro und Sande weit verbreitet: Schätzungen zufolge ist etwa die Hälfte aller Liberianer Mitglied in einem dieser Geheimbünde. Sie existieren zirka seit dem 18. Jahrhundert und sind auch heute noch entsprechend einflussreich (www.liberianforum.com/arts2.htm). Poro-Schulen beschränken sich auf die Erziehung von heranwachsenden Jungen, die für eine bestimmte Zeit, die je nach Ethnie von einigen Monaten bis zu vier Jahren variieren kann, an einem Ort außerhalb ihrer Gemeinschaft leben.
Dort werden sie eingeführt in die Traditionen, Riten und die Geschichte ihres Stammes und sollen Respekt für Autoritäten entwickeln. In streng disziplinierter Atmosphäre werden sie im Jagen und Fischen sowie in Ackerbau und Handwerk unterwiesen. Das Eintreten in diese Schulen wird einem Tod gleichgesetzt, die Rückkehr zur Gemeinschaft hingegen einer Art Wiedergeburt in die Welt der Erwachsenen. Vergleichbare Regeln gelten in den Sande-Schulen, die auch unter dem Namen Bundo-Schulen bekannt sind und auf die Unterweisung der Mädchen zugeschnitten sind. Diese erlernen dort Kenntnisse im Kochen, in der Geburtshilfe, im Umgang mit Giften und Heilmitteln und Fruchtbarkeitsriten. Es ist außerdem Brauch, dass die Mädchen während dieser Zeit außerhalb der Gemeinschaft beschnitten werden. Umfragen zufolge unterziehen sich mindestens 50 Prozent aller Mädchen Liberias einer derartigen Operation, bei der die Klitoris entfernt wird. Über den genauen Ablauf und Lehrplan der Poro- und Sande-Schulen ist bis heute relativ wenig bekannt, weil ihre Mitglieder zur Verschwiegenheit besonders Außenstehenden gegenüber verpflichtet sind (www.wluml.org/ english/pubs/rtf/dossiers/dossier3/D3-02-africa.rtf).
2.2. Koranschulen
Während die eben beschriebenen Stammesschulen hauptsächlich im Norden Liberias verbreitet sind, finden sich Koranschulen in den westlichen, südlichen und nordöstlichen Teilen des Landes (Kurian; 1988: 1521). Bei einem Anteil von lediglich 20 Prozent an muslimischer Bevölkerung ist die Bedeutung von Koranschulen allerdings vergleichsweise gering. Sie beschränken sich außerdem auf die Unterweisung von Jungen, die mit sieben oder acht Jahren aufgenommen werden und dann für mehrere Jahre Arabisch in Schrift und Sprache erlernen sowie das Zitieren von Versen des Koran (ebd. S. 1522).
2.3. Missionsschulen
Landesweit gibt es derzeit etwa 40 Prozent Katholiken und Protestanten, und zwar vorwiegend in den Kernzonen der Küste, deren Infrastruktur am besten entwickelt ist (http://www.auswaertiges-amt.de/diplo/de/Laender/Liberia.html). Während sich die von christlicher Hand geführten Schulen heutzutage auf den privaten Sektor beschränken und etwa 20 Prozent des Bildungssystems ausmachen, hatten sie in den Anfängen von Liberias Geschichte eine absolute Vorrei-terrolle: Da die eingewanderten Siedler weder das Interesse noch die Fähigkeit dazu hatten, lag das Erziehungswesen fast ausschließlich in der Hand von ausländischen Missionaren. Grundsätzlich zeigte sich die Stammesbevölkerung der westlichen Erziehung und Kultur gegenüber aufgeschlossen. Jedoch erwies sich die Entscheidung der Missionare, ihre Schüler weitestgehend nur im Bibelstudium und der christlichen Lehre zu unterweisen, als sehr nachteilig: Aus Sicht der Stämme konnte derartiges Wissen in keiner Weise zur Verbesserung ihrer Lebens-umstände beitragen. Außerdem fühlten sich die Eltern der Schüler in ihrer Autorität untergraben, da sie sich durch die Missionare als heidnisch dargestellt sahen. Die Folge war, dass sich die Missionsschulen auf die Unterweisung ameriko-liberianischer Kinder beschränkten, während sich die Stämme auf ihre traditionellen Poro- und Sande-Schulen beriefen. Diese Entwicklung war ausschlaggebend für eine Verstärkung des Gegensatzes zwischen Küste und Hinterland, der schon zuvor bestand und auch heute immer noch besteht:
Während sich an der Küste der elitäre, westlich eingestellte Bevölkerungsteil Liberias befindet, war und ist auf dem Land ein stärkerer Hang zu Traditionen und zur Ursprünglichkeit zu festzustellen (Dick; 1970: 59).
2.4. Das öffentliche Schulwesen
Liberia ist eines der ersten afrikanischen Länder, das überhaupt ein öffentliches Schulwesen etablierte: Schon 1826 errichteten amerikanische Kolonisten öffentliche Schulen, und im Jahre 1843 wurde per Gesetz beschlossen, dass auf jede Siedlung eine Schule für Kinder im Alter von fünf bis zwölf Jahren kommen müsse. (Obwohl zu dieser Zeit die meisten Schulen von Missionaren geleitet wurden und deren Schulen heutzutage privaten Charakter haben, so bildeten sie doch die Anfänge des öffentlichen Schulwesens.) 1863 schließlich wurde mit dem Liberia College die erste weiterführende Schule eröffnet, das 1868 auch die ersten Schülerinnen aufnahm. Der Erfolg dieses College ließ anfänglich sehr zu wünschen übrig: In den ersten 70 Jahren schafften gerade einmal 70 Schüler den Abschluss. Trotzdem wurden Ende des 19. Jahrhunderts weitere Colleges eröffnet, die sich aber auf die ameriko-liberianische Bevölkerung konzentrierten.
Kinder der ursprünglichen Bevölkerung konnten damals höchstens eine Missionsschule besuchen. Erst nach Ende des Zweiten Weltkrieges fand eine Ausweitung des Schulwesens auf die ländlichen Gegenden statt, was zwar eine erhöhte Einschulungsrate, aber auch qualitative Einbu-ßen zur Folge hatte. 1961 fand schließlich eine Reorganisation des Schulsystems nach amerikanischem Modell statt, das sich von nun an in Kindergarten, Elementary School, Junior High, Senior High und Col-lege gliederte (Kurian; 1988: 1520f.). In den letzten Jahren erlebte das öffentliche Schulwesen einen steten Anstieg: Während es im Jahr 1998 noch 1748 Primär- und Sekundärschulen gab, belief sich deren Anzahl drei Jahre später schon auf 3790. Auch die höhere Bildung erlebte eine Expansion: Inzwischen gibt es in Liberia drei Universitäten, von denen zwei öffentlich sind. Des Weiteren gibt es dreizehn technische Berufsschulen, von denen sechs dem Bildungsministerium unterstehen und die übrigen privaten Charakters sind (http://www.humanitarianinfo.org/liberia/infocentre/donors/doc/Confabˍdoc/Draft%20Needs%20Assessment%20Note%2022-12-03.doc).
Aufgrund mangelnder Ressourcen, wechselnder und schwacher politischer Führung und ungenügender Infrastruktur lässt sich das liberianische Schulsystem jedoch von jeher, auch im Vergleich mit anderen af-rikanischen Staaten, als äußerst mangelhaft charakterisieren. Heutzutage gehen nicht einmal 50 Prozent aller 5- bis 24-jährigen Kinder und Jugendlichen zur Schule. 48 Prozent dieser Schüler wiederum konzent-rieren sich auf den primären Sektor. Auch die Quote der Schulabbrecher ist erschreckend hoch: 35 Prozent aller Jungen und 27 Prozent aller Mädchen beenden die Grundschule nicht. Von den 34 Prozent an Schülern, die eine weiterführende Schule besuchen, schafft es nicht einmal die Hälfte in die zweite Stufe. Die Spuren des Bürgerkrieges und anderer Konflikte werden im Schulsystem besonders deutlich: Über 60 Prozent aller Grundschüler sind über dem durchschnittlichen Alter, weil ihre Schulzeit durch die Unruhen unterbrochen wurde. Gleiches gilt für weiterführende Schulen, wo 45 Prozent der Jungen und 27 Prozent der Mädchen über 20 Jahre alt sind. Besonders hervorzuheben ist die Ungleichheit der Geschlechter im liberianischen Schulsystem: Gegenüber einer Einschulungsrate von 61 Prozent bei Jungen beläuft sich die der Mädchen auf lediglich 34 Prozent, und dementsprechend ist die Analphabetenrate der Frauen mehr als doppelt so hoch wie die der Männer (http://www.humanitarianinfo.org/ libe-ria/infocentre/donors/doc/Confabˍdoc/Draft%20Needs%20Assessment%20N ote%2022-12-03.doc).
Gründe für dieses instabile Schulsystem gibt es viele. Die Analphabetenrate Liberias ist zwar in den letzten Jahren gesunken, belief sich im Jahr 2000 aber immer noch auf 50 Prozent, was im Vergleich zur Durchschnittsrate von 38 Prozent im subsaharischen Afrika erschreckend hoch ist.
Wenn nun aber Kinder in einer Familie aufwachsen, in der beide Elternteile weder schreiben noch lesen können, so ist das eine denkbar schlechte Basis für schulischen Erfolg. Zudem sprechen gerade auf dem Land viele Menschen die Sprache ihrer jeweiligen Ethnie, was es Kindern erschwert, mit der Schulsprache Englisch zurechtzukommen. Kinder, die in ländlichen Gegenden wohnen, haben außerdem häufig keine Möglichkeit, überhaupt eine Schule zu besuchen, weil sie dafür täglich zu Fuß sehr große Distanzen überwinden müssten. In den Schulen selbst wiederum mangelt es an Unterrichtsmaterial wie Büchern. Es gibt kaum ausreichend qualifizierte Lehrer (nur 65 Prozent aller Grundschullehrer haben selbst die Sekundärschule beendet) geschweige denn einen eigens auf die Belange der Schüler ausgerichteten Lehrplan.
Und trotz der geringen Einschulungsraten sind nicht genügend Klassenräume vorhanden (20 Prozent aller Schulgebäude wurden während des Kriegs vollständig zerstört, weitere teilweise), sodass sich das Lehrpersonal gezwungen sieht, besonders in Kindergarten und Grundschule zwei bis drei Unterrichtsschichten einzulegen. Dementsprechend löst die Nichteinhaltung der gesetzlich festgelegten Schulpflicht für 6- bis 16-Jährige nur selten eine Intervention der Behörden aus. Als Folge dieser Entwicklungen hat der eher undurchsichtige nichtformelle Bildungssektor, der bisher wenig erforscht ist, in den vergangenen Jahren stark an Bedeutung gewonnen (http://www.humanitarianinfo.org/liberia/infocentre/donors/doc/Confabˍdoc/ Draft%20Needs%20Assessment%20Note%2022-12-03.doc).
3. Schluss
Die fatalen Lücken im liberianischen Bildungssystem haben ihren Ursprung zweifelsohne in der Geschichte des durch Unruhen und Krieg geplagten Landes. Die Zerstörung von Schulgebäuden, der Einsatz von Kindersoldaten, der Tod zahlloser Menschen, der finanzielle und ökonomische Aufwand, der im Zuge eines Krieges entsteht, haben unmittelbare Folgen, die heute noch unübersehbar sind: Es gibt bei Weitem keine ausreichende Anzahl an Klassenzimmern, Kinder und Jugendliche müssen sich neben der Überwindung von Traumata auch mit der Kompensation verpasster Schuljahre auseinandersetzen, und eine ange-messene Menge an Lernmaterialien sowie qualifizierte Lehrkräfte sind eher Wunschdenken denn Realität.
Die Koexistenz verschiedenster Bevölkerungsgruppen trägt ihr Übriges zur derzeitigen Situation bei. Die Gruppen haben jeweils ihre eigene Vorstellung von Bildung und Erziehung umgesetzt, sodass sich heute neben traditionellen Poro- und Sande-Schulen auch christliche und islamische Schulen finden, die wiederum neben staatlichen Bildungseinrichtungen bestehen – vom nichtformellen Sektor ganz zu schweigen. Von einer einheitlichen und aufeinander abgestimmten Struktur kann keine Rede sein.
Im Jahr 2000 wurde vom liberianischen Bildungsministerium in Kooperation mit UNESCO und UNDP ein 10-Jahres-Plan zur Reformierung des liberianischen Bildungssystems verabschiedet, der auf Verbesserung der derzeitigen Zustände hoffen lässt. Der Plan impliziert die Restaurierung bestehender und Errichtung weiterer Primär- und Sekundärschulen, Bildungszentren und Lehrerausbildungsstätten. Öffentliche und private Bildungseinrichtungen sollen reformiert werden und in Zukunft enger zusammenarbeiten. Weiterhin sind eine Überarbeitung der Lehrpläne, eine Verbesserung der Infrastruktur und eine Reduzierung der Geschlechterungleichheit oberste Ziele (http://www.humanitarianinfo.org/liberia/infocent-re/donors/doc/Cofabˍdoc/Draft%20Needs%20Assessment%20Note%2022-12-03.doc).
Bis sich Liberia von seiner Vergangenheit erholt hat und ein intaktes Bildungssystem etabliert hat, werden sicher noch mehr als die verbleibenden drei Jahre bis 2010 vonnöten sein. Aber das Land unternimmt mit diesem Plan auf jeden Fall einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung.
4. Literaturverzeichnis
Adick, Christel: Afrikanisierung oder Modernisierung der höheren Bildung? Historische Wurzeln moderner akademischer Bildungsinitiativen in afrikanischer Hand. In: Küper, Wolfgang (Hrsg.): Die Lage der Uni-versitäten: Sektionsbericht; Gegenwartsbewältigung und Zukunftsper-spektiven in Afrika. Frankfurt/M. 1989.
Dick, Manfred: Probleme der nationalen Identität in Liberia. Analyse einer Pioniergesellschaft in Westafrika. Düsseldorf 1970.
Husen, Torsten/ Postlethwaite, T. Neville (Hrsg.): The International Encyclopedia of Education. Research and Studies. Band 5. Oxford et al. 1985.
Jürgens, Hans W.: Beiträge zur Binnenwanderung und Bevölkerungsentwicklung in Liberia. Heidelberg 1965.
Kurian, George Thomas (Hrsg.): World Education Encyclopedia. Band 3. New York 1988.
UNESCO (Hrsg.): World Education Report 2000. The Right to Education: Towards Education For All throughout Life. Paris 2000.
Internetquellen [Stand: 03.06.2007]
http://www.auswaertiges-amt.de/diplo/de/Laender/Liberia.html
www.wluml.org/english/pubs/rtf/dossiers/dossier3/D3-02-africa.rtf
Eigenständigkeitserklärung
Hiermit versichere ich, dass ich die Hausarbeit selbstständig verfasst und keine anderen als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel benutzt habe, alle Ausführungen (und bildlichen Darstellungen), die anderen Quellen (Schriften, Internet) wörtlich und sinngemäß entnommen wurden, kenntlich gemacht sind und die Arbeit in gleicher oder ähnlicher Fassung noch nicht Bestandteil einer Prüfungsleistung war.
Kontakt die Authorin: